Sieger

 

Wie feine Zuckerwatte schwebt Nebel über dem warmen Waldboden. Verzauberndes Funkeln und Glänzen auf den Blättern der Bäume. Die Sonnenstrahlen, welche sich ihren Weg durch die Baumkronen stehlen, scheinen die kleinen Wassertropfen zum erleuchten zu bringen. Nur durch den Hauch des Atems in der kühlen Luft erkenne ich, dass es keine Statue ist welche dort in der Lichtung steht. Ganz starr und stolz steht er dort - ein Hirsch. Ein Wunderwerk der Natur mit einer Schönheit die kaum auszuhalten ist. Eine Erscheinung, einem Fabelwesen gleich. Ich stehe nur wenige Meter entfernt. Ob er meinen Herzschlag hören kann? Mit seinen grossen, dunklen Augen schaut er mich an. Welche Anmut er ausstrahlt. In seinem Blick habe ich das Gefühl direkt in Mutter Natur sehen zu können. In mir kommt die Sehnsucht auf den Moment festhalten zu können. Wie gerne würde ich in diesem Tier versinken und das Mensch sein zurück lassen. Eins sein mit dem Wald. Doch schon ist er weg, der Hirsch mit all seiner Magie.

 

Ich lasse mich ins feuchte Moos fallen und schaue in die Baumkronen. Nach ein paar tiefen Atemzügen schliesse ich die Augen. Auf meiner linken Hand spüre ich ein kurzes kitzeln. Erstaunlich, wie ich in meiner Wohnung bei jeder noch so kleinen Spinne durchdrehe aber im Wald wo es nur so von Achtbeinern wimmelt, bin ich einfach fasziniert von ihnen. Ich bin hier ja auch irgendwie in ihrem Zuhause und werde notgedrungen geduldet. Wir Menschen haben es wirklich geschafft unsere Welt abzutrennen. Durch Zivilisation haben wir uns getrennt von der Natur. Fast abgeschottet davon. Solange wir sie noch nicht zerstört haben, können wir zwar Besucher sein aber ein Teil von ihnen, sind wir wohl schon lange nicht mehr. Mit arroganter Bestimmtheit sehen wir uns als Götter der Tiere. Wir sperren sie ein, züchten sie,

essen sie, und viele davon werfen wir einfach weg. Wie überflüssige Plastiksäcke aus dem Supermarkt. Und doch sehnen wir uns nach ihrer Gesellschaft, ja sogar nach ihrer Zuneigung und halten sie einfach als Haustiere. Was für eine Wahl haben die zahm gezüchteten Tiere welche in der Wildnis auch keine Chance mehr hätten. Abhängig vom Menschen, vertrauen sie uns einfach blind. Durch Waffen, Maschinen und Gitterstäbe haben wir zwar Macht aber haben dabei nicht bemerkt, dass wir uns selber eingeschlossen haben. In Wohnungen welche bezahlt werden müssen und mit einem Pass welcher sogar bestimmt, in welchem Land wir zu leben haben. Ja, wir haben uns die Freiheit genommen und denken immer noch dass wir die Sieger sind.

 

 

Ich liege auf dem Waldboden und fühle mich nicht als Sieger. Ich bin dankbar, dass ich die Natur noch spüren kann.