Gesichter

 

Diese Augen. Sie sind schön, wirklich schön. Sie strahlen mit ihrer grünbraunen Färbung ein weiche Wärme aus. Sie sind das Fenster zur Seele - sagt man doch. Doch mehr als die Farbe und die Form kann ich darin nicht erkennen. Und auch hier nur eines nach dem anderen. Kann man überhaupt gleichzeitig in beide Augen sehen? Je länger ich sie anschaue um so mehr Unsicherheit spüre ich. Mein Blick schweift übers Gesicht und sofort beginne ich jedes Detail zu beurteilen. Verurteilen, trifft es wohl besser. Hier eine kleine Unreinheit der Haut, die Augenbrauen müssten gezupft werden und die Lippen sind auch zu schmal. Details zu analysieren erscheint mir einfacher als die Wahrnehmung des Gesamten. Es ist schwierig für mich, Menschen nur anhand ihres Gesichtes zu erkennen.

 

Das Gesicht welches ich hier sehe, ist mir sehr bekannt und doch hätte ich grosse Schwierigkeiten, es in einer Menschengruppe wirklich sofort zu erkennen. Es ist mein Gesicht. Ich sehe mich und ich sehe mich gleichzeitig nicht hier im Spiegel. Mich - Ich. Wer ist dieses Ich? Hier gegenüber von mir und gleichzeitig in mir. Ich atme tief durch und versuche mich nicht in meinen Gedanken zu verlieren. Es gibt manchmal diese Momente, bei welchen ich kurz den Boden unter meinen Füssen verliere. Es sind die Momente in der Stille, mit mir allein. Ohne die Ablenkung von Smartphone, Fernseher, Internet oder anderer Menschen. Ich spühre jede Faser meines Körpers und fühle mich fremd. Ist mein Leben real, bin ich wirklich hier? Was bedeutet Jetzt und hier? Ich schaue meine Umgebung an, was hat der Mensch nur alles geschaffen? Diesen Boden, den Teppich, den Seifenspender. Ist doch alles unecht. Ich fühle mich in eine Welt gesetzt welche nicht die meine ist. Mit dem Wissen in diesem Spiel nur ein kleines Nichts zu sei, versuche ich mich nicht als Nichts zu fühlen. Ich halte meine Hände unter den Wasserhahn

und lasse warmes Wasser darüber fliessen. Die Wärme durchströmt sofort meinen ganzen Körper. Wie eine Umarmung. Sie umhüllt mich und gibt mir die Geborgenheit zurück, nach welcher ich mich gerade so sehne.

 

Ich denke oft ich weiss, wer und wo ich bin, doch ich habe keine Ahnung.

In diesen Momenten vor dem Spiegel bin ich auf der Suche nach mir. Nach dem Ich, welches für mich nicht fassbar ist. Durch meine Fotografien halte ich meine Gesichter fest. Schlüpfe in Rollen und Verkleidungen. Das verleiht mir Mut, Selbstsicherheit und erzählt doch auch immer ein Stück von mir. Eine kleine Flucht, eine Ablenkung, bestimmt auch eine Suche. Nicht zuletzt aber auch die Freude daran mich auf den Bilder nicht zu erkennen und doch zu wissen: "Ja, auch das bin ICH!"